Rezension: Koitus mit der Meerjungfrau: Geschichten am Rande von Philip J. Dingeldey

Published Jan 19, 2013

„Koitus mit der Meerjungfrau: Geschichten am Rande“ ist eine Sammlung von neun Kurzgeschichten des jungen Autoren Philip J. Dingeldey. Dieser scheut in seinem Werk nicht davor zurück, auch die hässlichen und brutalen Seiten des Lebens zu thematisieren. Dabei geht er aber teilweise fast schon zu weit.

Die Kurzgeschichten von Dingeldey decken ein breites Themenspektrum ab. Mal geht es um Obdachlose, die fürs Überleben betteln müssen, dann sind es gescheiterte Künstler, Philosophiestudenten und Journalisten, die mittlerweile mehrheitlich betrunken sind oder Harz IV beziehen, oder es werden sozialkritische Themen wie die Religion und der Schlankheitswahn bei jungen Frauen aufgegriffen. 

Dingeldey zeigt bei seinen Erzählungen durchaus schriftstellerisches Potential. Ungeschönt beschreibt er die Situationen und Charaktere und spricht zudem auch Themen an, vor denen sich sich viele andere hüten. Was jedoch teilweise etwas komisch anmutet, sind die Passagen, in denen Dingeldey den Leser direkt anspricht. Formulierungen wie „werter Leser“ oder „Hier befindet der Verfasser es für wichtig, in das Geschehen einzugreifen und seine Meinung kundzutun“ wirken gestelzt und gesucht eloquent. Darauf hätte auch verzichten werden können.

Frage der Glaubwürdigkeit

Zudem fällt die teilweise doch vulgäre Wortwahl auf, mit der Dingeldey wohl beabsichtigt, die Realität so direkt und ungefiltert wie möglich wieder zu geben. Doch ab und zu war es doch des Guten zu viel. Dazu folgender Textausschnitt aus der Geschichte „Exkremente“: 

„Dann riss er ihr die Hose herunter, drehte sie um, drückte sie vornüber, sodass die Bettlerin die noch nicht heruntergespülten Exkremente in der Klospülung beobachten konnte, und fickte sie in den Arsch (…) Aber als dann der Ekel die Oberhand gewann und die Frau auf die flüssige Scheisse vor ihr kotzte, zog er sich schockiert zurück und fand das so abturnend, dass er ohne Bezahlung ging (…)“ (Dingeldey 2012: 5).

Solche Beschreibungen, die an verschiedenen Stellen vorkommen, gehen mir – das ist jedoch nur meine persönliche Meinung – zu weit und wirken überspitzt. Dadurch nehmen sie der Erzählung auch ein wenig die Glaubwürdigkeit.

Gesuchte Provokation

Ein weiteres Beispiel, das bezüglich der Glaubwürdigkeit problematisch ist, ist die Geschichte „Populismus“, in der Dingeldey beschreibt, wie ein Priester einen Ministranten in der Kirche brutal vergewaltigt. Die Provokation und das schockierende Element sind in dieser Erzählung doch etwas zu stark gesucht und dadurch nicht mehr glaubhaft. Dennoch ist es dem Autoren durchaus positiv anzurechnen, dass er dieses Tabuthema, an die sich viele andere Schriftsteller nicht heranwagen würden, aufgreift. 
Einem weiteren sozialkritischen Thema nimmt Dingeldey in „Das Wattezeitalter“ – wie ich finde die beste Geschichte des Buchs – an. Dabei geht es um die Körper junger Frauen, wie sie sich über ihr Aussehen und ihre Kleidergrösse definieren und in der Gesellschaft angesehen werden. Ein sehr interessantes Thema, das noch hätte weiter ausgearbeitet werden können. 
Alles in allem ist „Koitus mit der Meerjungfrau: Geschichten am Rande“ in Ordnung und bietet sowohl inhaltlich als auch sprachlich einige interessante Ansätze. Für meinen Geschmack wurde mit der Offenheit und den ungeschönten Beschreibungen doch etwas übers Ziel hinausgeschossen. Zudem hätte ab und zu eine etwas positivere Geschichte hätte auch nicht geschadet. Knappe drei Punkte. (fba)

Bibliografische Angaben

Titel: Koitus mit der Meerjungfrau: Geschichten am Rande
Autor: Philip J. Dingeldey
Seiten: 97 Seiten
Verlag: Digitalverlag Grossrosseln
Erschienen: 2012
ISBN-10: 3936983674
ISBN-13: 978-3936983678
Bewertung: 

Ein Kommentar

  1. Also ich hab das Buch auch gelesen und finde nicht, dass die Kritik stimmt. Sprache und Darstellungsart der Geschichten sind schon recht krass, ja, aber der Inhalt und die Existenzen, die in den meisten Geschichten geschildert werden sind auch recht krass. Von daher passt es, wieder wie ich finde. Ihr Leben ist meist total kaputt, abgefuckt eben, oft sind die Persönlichkeiten auch zerstört oder werden es im Lauf der Handlung, wie bei der Hiobsgeschichte. Es mutet nicht immer schön an, aber so ist das Leben. Und so wie das Leben für solche Randgestalten ist, in solchen "Geschichten am Rande", wie Dingeldeys Untertitel meint, so sind auch Schilderung und Sprache. Krass, aber glaubwürdig und recht gut. Und die Unterbrechungen in manchen längeren Geschichten zum Ende des Buches sind recht gute Effekte. Die lockern das Ganze auf und regen zum Nachdenken an. Aber das ist nur meine Meinung und eben Geschmackssache, wie fba auch schon bemerkt hat.
    Deine Inhaltsangabe, lieber fba, finde ich aber echt gelungen. Durch die bin ich erst auf das Buch aufmerksam geworden.

    Liebe Grüße
    Alexander

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