Rezension: Die Radsport Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte von Tyler Hamilton und Daniel Coyle

Published Mrz 29, 2013

Im Insiderbericht „Die Radsport Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte“ deckt Tyler Hamilton, Ex-Radprofi und Edelhelfer von Lance Armstrong, schonungslos die Dopingpraktiken der Radsportler auf. Beim Schreiben hat ihm Autor Daniel Coyle geholfen.

Seit Lance Armstrong im vergangenen Jahr seine sieben Tour de France Titel aberkannt wurden, haben sich Dopinggeständnisse von zurückgetretenen Fahrern gehäuft. Dies wirft Fragen auf, wie sauber und fair der Radsport Ende der 90er Jahre und in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende tatsächlich war. 
Führt man sich das Buch von Tyler Hamilton zu Gemüte, ist die Antwort einfach: Jeder, der in dieser Zeit ein grosses Rennen in den vorderen Rängen abgeschlossen hat, war mit grosser Wahrscheinlichkeit gedopt. Wer bei den mehrwöchigen Rundfahrten durch Frankreich, Italien oder Spanien an der Spitze fuhr, war es, so Tyler Hamilton, garantiert gedopt. Dazu folgendes Zitat: „Aber sobald eine Renndauer von einer Woche überschritten wird, wird es sauberen Fahrern ganz schnell unmöglich, mit Konkurrenten mitzuhalten, die Edgar (Codewort für EPO) einnehmen“ (Hamilton 2012: 131).
Auf knapp 350 Seiten beschreibt der Amerikaner, der zu Aktivzeiten für seine enorme Leidensfähigkeit bekannt war, wie er als junger Amateurfahrer voller Hoffnungen und Träume ins Profilager gewechselt hatte. Bald schon musste er erkennen, dass er mit seinem Team in Europa lediglich in den hintersten Regionen des Feldes mithalten konnte. Nach drei Jahren Profi stand er vor der Wahl: Entweder beendete er seine Karriere oder er entschied sich fürs Doping. Hamiltons Wahl fiel auf letzteres. In seinem Buch beschreibt er auf beindruckend offene Art und Weise, aus welchen Gründen er zu dopen begann und wie sich die Praktiken und Dopingmittel über die Jahre veränderten.

Lance Armstrong, ein Mann mit zwei Gesichtern
Einen Grossteil des Werkes widmen Hamilton und Coyle der Ära US Postal, als Hamilton und Lance Armstrong mehrere Jahre gemeinsam an der Tour de France teilgenommen hatten. Armstrong, der unumstrittene Leader des Teams, kommt dabei nicht allzu gut weg. Hamilton stellt ihn zwar als schillernde, beeindruckende und auch inspirierende Persönlichkeit dar, beschreibt jedoch gleichzeitig auch seine überdimensionierten Machtansprüche, seine Unfähigkeit, Freundschaften zu pflegen und seinen krankhaften Kontrollwahn. Dieser führte dazu, dass er alle Teammitglieder zu Höchstleistungen antrieb und auch, gerade was Doping und neue Dopingmethoden anging, immer auf dem neusten Stand war. Hamilton beschreibt, welche Tricks die Fahrer angewendet haben, um die Dopingtester hinters Licht zu führen, wie Dopingärzte wie Fuentes oder Ferrari gearbeitet haben, wie und wo die Treffen über die Bühne gingen, wie die Dopingmittel in die Tour de France geschleust wurden und auch wie die Bluttransfusionen verabreicht wurden. 
Die Schilderungen Hamiltons, der in seinem Buch immer wieder andere Fahrer, die zu jener Zeit aktiv waren, zu Wort kommen lässt, sind hochinteressant und beleuchten einen Bereich des Sports, den man nur ungern sieht. Armstrongs Aufstieg zur Legende, der ihn während seiner Aktivzeit unantastbar machte, weder für den Radsportverband noch für irgendwelche anderen Instanzen, wirft ein unschönes Licht auf die Szene und gibt zu denken.

Faszination Radsport

Doch Hamiltons Buch ist keine Abrechnung mit dem Radsport – im Gegenteil. Es ist dem Amerikaner, der selber zwei Mal des Dopings überführt wurde und der kein Blatt vor den Mund nimmt, seine eigenen Dopingvergehen fein säuberlich aufzulisten, ein Anliegen, dass die Menschen ausserhalb des Radsports verstehen, in welcher Situation man als Fahrer steckt, wenn man zu dopen beginnt. Er schafft es auch glaubwürdig zu erklären, weshalb die überführten Fahrer den Dopingmissbrauch immer abstreiten. Ebenfalls hochinteressant sind seine Ausführungen über die Auswirkungen des Dopings. Es ist in keinster Weise so, dass diejenigen, die Doping verwendeten, weniger trainieren mussten. Auch mit Doping ist der Radsport nach wie vor eine extrem harte Sportart, die sehr viel Training bedarf. Folgendes schrieb Hamilton zu diesem Thema:

„Vielfach glaubt man, Doping sei etwas für faule Säcke (…) aber bei mir und auch bei vielen anderen, (…), war es genau umgekehrt. (…) Jetzt entschieden nicht mehr Zufall, Genetik oder Tagesform. Ihr Ausgang (derjenige, der Rennen) hing nicht mehr davon ab, wer man war, sondern davon, was man tat – wie hart man trainierte, wie gut und professionell man sich vorbereitete“ (Hamilton 2012: 77). 

Das Buch, welches in einer sehr angenehmen Sprache verfasst ist, bietet allen, die Interesse am Thema Doping im Spitzensport haben, äusserst interessante und gleichzeitig auch erschreckende Einblicke in eine Maschinerie, die hinter den Kulissen läuft. Sehr empfehlenswert!
Noch eine kurze Anmerkung zur Glaubwürdigkeit der Schilderungen Hamiltons. Obwohl Hamilton direkt betroffen und involviert war, erscheinen die Berichte glaubwürdig. Dies deshalb, weil er auch andere Fahrer zu Wort kommen lässt und  weil er sich selbst in keinster Weise schont oder seine Taten schön zu reden versucht. Trotzdem ist dieses Werk natürlich ein journalistischer Text, der aus Spannungsgründen und wegen des Story-Tellings bewusst gewisse Dinge weglässt und andere Ereignisse grösser macht, als sie es vielleicht in Wirklichkeit gewesen waren. (fba)

Bibliografische Angaben

Titel: Die Radsportmafia und ihre schmutzigen Geschäfte
Autor: Tyler Hamilton und Daniel Coyle
Seiten: 352
Erschienen: 2012
Verlag: Malik
ISBN-10: 389029765X
ISBN-13: 978-3890297651
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