Rezension: Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe

Updated Nov 4, 2017

„Die Leiden des jungen Werther“ ist einer der Klassiker aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe. Trotz der mittlerweile längst überholten Sprache und dem für heutige Verhältnisse übertriebenen Pathos, der ein Kernelement des Werks ist, sollte man diesen Text einmal gelesen haben.

Werther, ein junger Rechtpraktikant, verlässt seinen Heimatort und zieht in den beschaulichen Ort Wahlheim. Er ist losgezogen, um eine Erbschaftsangelegenheit für seine Mutter zu regeln und weil er nach dem Ende einer Beziehung Abstand brauchte. In Wahlheim lernt er per Zufall Lotte, die Tochter eines verwitweten Amtsmannes kennen. Er verliebt sich sofort in sie und möchte am liebsten jede freie Minute mit ihr verbringen. Doch wie das Schicksal so will, hat sie sich bereits einem anderen verschrieben: Albert, einem erfolgreichen Geschäftsmann. Sie hat ihrer Mutter am Sterbebett versprochen, dass sie Albert heiraten wird. Werther hat mit dieser klassischen Dreiecksbeziehung grosse Mühe und fällt letztendlich gar den Entschluss, dass er Wahlheim und damit auch Lotte und Albert verlassen wird. Lange hält er es jedoch nicht aus, aber nach seiner Rückkehr laufen die Dinge aus dem Ruder.

Gefühle, Gefühle und noch mehr Gefühle

Wer den Werther liest, dem wird bereits nach wenigen Seiten des primär in Briefform verfassten Werks – Werther schreibt seine Erlebnisse in Briefen an seinen Freund Wilhelm – auffallen, wie unglaublich ausführlich, kreativ und oftmals auch übertrieben Werther seine Gefühle beschreibt. Ein Beispiel dafür:

„Einen Engel! – Pfui! das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande, dir zu sagen, was sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist, genug, sie hat allen meinen Sinn gefangen genommen. So viel Einfalt bei so viel Verstand, so viel Güte bei so viel Festigkeit, und die Ruhe der Seele bei dem wahren Leben und der Tätigkeit. – Das ist alles garstiges Gewäsch, was ich da von ihr sage, leidige Abstraktionen, die nicht einen Zug ihrer Selbst ausdrücken.“ (Seite 20)

Diese extrem gefühlsbetonte Art zu schreiben, die sich vielen expressiven Stilmitteln wie Ellipsen, Gedankenstrichen und Ausrufen bedient, ist typisch für die Epoche des Sturm und Drang. Auch der an gewissen Stellen des Werks fast schon exzessive Gebrauch pathetischer Formulierungen ist nichts Ungewöhnliches für den Sturm und Drang. Ein weiteres Bespiel gefällig? Bitte schön:

Was ist das, mein Lieber? Ich erschrecke vor mir selbst! Ist nicht meine Liebe zu ihr die heiligste, reinste, brüderlichste Liebe? Habe ich jemals einen strafbaren Wunsch in meiner Seele gefühlt? – Ich will nicht beteuern – Und nun, Träume! O wie wahr fühlten die Menschen, die so widersprechende Wirkungen fremder Mächte zuschrieben! Diese Nacht! Ich zittere, es zu sagen, hielt ich sie in meinen Armen, fest an meinen Busen gedrückt, und deckte ihren liebelispelnden Mund mit unendlichen Küssen; mein Auge schwamm in der Trunkenheit des ihrigen! Gott! bin ich strafbar, dass ich auch jetzt noch eine Seligkeit fühle, mir diese glühenden Freuden mit voller Innigkeit zurückzurufen? Lotte! Lotte! (Seite 123)

Antike Helden und der Kampf gegen die Rationalisierung

Ein weiteres zentrales Element für Autoren und Dichter des Sturm und Drang ist, dass sie sich gerne an antiken Helden und ihren Geschichten orientieren. Dies ist auch bei Goethes Werther der Fall. So ist beispielsweise Homer eine Inspirationsquelle für das künstlerische Wirken von Werther und am Ende des Werks spielt die Erzählung von Ossian eine wichtige Rolle.


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Auch ist es typisch für diese literarische Epoche, dass die Autoren versuchen, die wissenschaftliche Durchdringung des Alltags, die von der Aufklärung herrührte, zu stoppen, in dem sie eine sehr gefühlsbetonte Gegenbewegung zu dieser Rationalisierung einschlugen. Dies ist bereits auf der zweiten Seite des Werkes an folgender Textstelle zu erkennen: „Der Garten ist einfach, und man fühlt gleich bei dem Eintritte, dass nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz den Plan gezeichnet, das seiner selbst hier geniessen wollte“ (Seite 6).

Die grosse Liebe und Selbstmord

So viel zur formalen Interpretation des Goethe Klassikers. Natürlich kann man dieses Werk auch von seiner inhaltlichen Seite her analysieren. Hierfür bieten sich vor allem zwei Motive an: die grosse, unerfüllte Liebe und der Selbstmord.

Lotte ist für Werther die grosse Liebe. Er begehrt sie, will jede freie Minute mit ihr verbringen und wenn dies nicht möglich ist, schickt er jemanden, der sie an diesem Tag sieht und ihm davon berichtet. Eine Liebe, wie sie Werther in seinen Briefen an Wilhelm beschreibt, scheint kaum vorstellbar, zumal eigentlich von Anfang an klar ist, dass sie unerfüllt bleiben wird.

Neben dem Motiv der Liebe spielt natürlich der Suizid von Werther ganz am Ende des Werks eine zentrale Rolle. Goethe beschreibt gekonnt, wie sich die Gefühlslage seine Hauptprotagonisten langsam verändert. Von himmelhoch jauchzend hin zu zu Tode betrübt (typischer Leitsatz des Sturm und Drang, der die gesamte Bandbreite der Gefühle beschreiben soll). Am Ende sieht Werther nur noch den Selbstmord als Ausweg. Es ist eine bewusste Entscheidung, mit der er seinem Leben ein Ende bereiten will. Dass Goethe dazu schreibt, dass er beerdigt wurde, ohne dass Lotte und Albert dabei waren und ohne, dass ein Pfarrer oder ein anderer kirchlicher Vertreter dabei war, zeigt, dass der Selbstmord damals ein gesellschaftlich heikles Thema war.

Bibliografische Angaben

Titel: Die Leiden des jungen Werther
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Seiten: 172
Erschienen: 1774
Verlag: Reclam
ISBN-10:  345836207X
ISBN-13:978-3458362074
Bewertung: 3/5


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