Rezension: Die Einsamkeit der Primzahlen von Paolo Giordano

Published Aug 17, 2011

„Die Einsamkeit der Primzahlen“ ist das mehrfach ausgezeichnete und in 26 Ländern verkaufte Werk des Italieners Paolo Giordano. Es ist eine aussergewöhnliche Geschichte, von zwei aussergewöhnlichen Menschen. Obwohl mich dieses Genre sonst nicht anspricht, hat mich das Werk überzeugt. 

Alice Della Rocca und Mattia Balossino sind Aussenseiter. Alice, weil sie seit einem Skiunfall ein steifes Bein hat und sich seit jenem Tag hässlich und fett fühlt. Sie leidet an Essstörungen und hat keine Freundinnen in der Schule. Mattia, weil er als Kind seine Zwillingsschwester Michela alleine zurück gelassen hat, um an einen Kindergeburtstag zu gehen. Seine Schwester hat man danach nie wieder gesehen. Die Schuldgefühle nagen an ihm und seine Lehrer stufen ihn als selbstmordgefährdet ein. Die beiden lernen sich auf einer Party kennen und freunden sich an. Es ist eine ganz spezielle Freundschaft, geprägt von gegenseitig Verständnis und funktioniert ohne grosse Worte. Doch obwohl die beiden für einander bestimmt zu sein scheinen, tun sie sich äusserst schwer. 
Alles aus einem Guss
„Zum Teufel noch mal, was für ein phantastischer Schrifsteller!“, steht auf der Rückseite des Werks geschrieben. Dies machte mich als lese- und schreibbegeisterten Zeitgenossen natürlich neugierig. Bereits auf den ersten Seiten schafft es Giordano, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Es ist nicht die Handlung, die einen mitreisst, denn viel passiert in diesem Werk nicht. Sondern es ist die Art und Weise, wie der Autor die Geschehnisse, die Orte und die Personen in Einklang bringt. Es wirkt alles rund, nichts eckt an, alles passt ins Gefüge. Er schafft es auch, ein sehr authentisches Bild der beiden Protagonisten zu zeichnen und ihre Leiden, ihre Gedanken und Gefühle realistisch und für den Leser verständlich zu Papier zu bringen. So macht lesen wirklich Spass.

Antihelden bleiben für einmal Antihelden
Das Drama von Giordano lebt vom Aussergewöhnlichen. Zum Einen sind sowohl Alice als auch Mattia sehr aussergewöhnliche Charaktere. Eigentlich sind beides Antihelden, die in diesem Werk aber dennoch die Hauptrolle spielen. Zum Anderen ist es speziell, dass die beiden sich nicht zum „Guten“ verändern. In vielen anderen Werken kommt es zu einer wundersamen Verwandlung und aus dem Antiheld wird ein Held, doch in diesem Werk bleiben die Charaktere so wie sie sind und zudem finden sie nicht einmal zu einander. Es gibt also kein Happy End. Am Ende hat man als Leser zwar das Gefühl, so jetzt schaffen sie es endlich, doch irgendwie hätte das nicht gepasst. Die Einsamkeit, welche die beiden Protagonisten in sich tragen, war am Ende stärker. 
Wie Primzahlenzwillinge
Giordanos Werk ist voller Symbolik. Vor allem Mattias Vorstellung von den Primzahlen ist von zentraler Bedeutung für das Werk. Dazu eine Textpassage: „Primzahlenzwillinge sind Paare von Primzahlen, die nebeneinander stehen oder genauer, fast nebeneinander, denn zwischen ihnen befindet sich immer noch eine gerade Zahl, die verhindert, dass sie sich tatsächlich berühren. … Für Mattia waren sie beide, Alice und er, genau dies, Primzahlenzwillinge, allein und verloren, sich nahe, aber doch nicht genug, um sich wirklich berühren zu können.“ Eine bessere Metapher als diese gibt es wahrscheinlich nicht, um sowohl die beiden Charaktere, als auch die Beziehung der beiden zu beschreiben. Beide sind von Einsamkeit geprägt und allein, beide fühlen sich zu einander hingezogen, schaffen es aber dennoch nicht, zueinander zu finden. 
Auch sonst wählt Giordano die Symbole und Metaphern mit sehr viel Fingerspitzengefühl. Man kann daher der „Frankfurter Allgemeine“ nur recht geben, wenn sie schreibt: „Ein ebenso berührendes wie subtiles Drama.“
(fba)


Bibliografische Angaben:
Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen
Autor: Paolo Giordano
Seiten: 364
Erschienen: 2008
Verlag: Heyne
ISBN-10: 3453408012
ISBN-13: 978-3453408012
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