Rezension zu Der Fremde von Albert Camus

Rezension: Der Fremde von Albert Camus

Updated Nov 3, 2017

„Der Fremde“ von Albert Camus gilt als einer der grossen Klassiker der Literatur. Das nur rund 160 Seiten lange Werk des Literaturnobelpreisträgers überzeugt nicht mit einer vielschichtigen Storyline,  komplexen Satzkonstrukten oder eloquentem Sprachgebrauch sondern durch seine Schlichtheit.

Der Büroangestellte Meursault lebt ein unauffälliges und relativ einsames Leben. Er pflegt nur wenige soziale Kontakte, ist jedoch mit seinem ruhigen Dasein durchaus zufrieden. Zu Beginn von Camus Erzählung stirbt Meursaults Mutter. Er geht an ihre Beerdigung, verspürt jedoch keine Trauer. Bereits am nächsten Tag beginnt er eine Affäre mit Marie und verbringt mit seinem Nachbar Raymond und dessen Kollegen eine gute Zeit am Strand. Dort kommt es jedoch zu einem Zusammentreffen mit zwei Arabern, die noch eine Rechnung mit Raymond zu begleichen haben. Die Auseinandersetzung endet mit einer blutigen Wunde bei Raymond, die gepflegt werden muss. Kurze Zeit später trifft Meursault erneut auf den Araber, der Raymond verletzt hat. Ohne ersichtlichen Grund erschiesst er den Araber mit Raymonds Revolver. Er sagt, die Sonne hätte ihn geblendet. Meursault wird für sein Verbrechen angeklagt, doch die Geschworenen beurteilen nicht seine Tat sondern seine Persönlichkeit.

Gleichgültigkeit ist das zentrale Motiv

Camus Erzählung besticht durch ihre Einfachheit. Die meisten Sätze sind kurz gehalten, hypotaktische Satzgefüge, die sich über mehrere Zeilen erstrecken, sind kaum zu finden. Mit dieser Art des Schreibens schafft es der Autor, eine sehr hohe Übereinstimmung von Inhalt und Form zu erzeugen. Meursault spricht nicht viel, wenn es nichts zu sagen gibt, dann schweigt er. Genauso erzählt Camus auch die Geschichte: Kurz und knapp, ohne ein Wort zu viel zu verlieren.

Zudem widerspiegelt sich auch die Gleichgültigkeit von Meursault in der Art der Erzählung wieder. Diese ist sehr trocken, neutral und ist geprägt von einer grossen Distanz zwischen dem Leser und den Ereignissen. Dies entspricht auch dem emotionslosen Charakter von Meursault, der weder um seine Mutter weinen, noch Reue für seinen Mord empfinden kann. Sein Gemütszustand scheint immer derselbe zu sein, egal ob während des Liebesaktes mit Marie oder allein in seiner Gefängniszelle.


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Nicht die Tat, sondern der Charakter ist ausschlaggebend

Meursault hat den Araber am Strand erschossen, weil er stundenlang in der Hitze umherlief, von der Sonne geblendet wurde und daher das Gefühl hatte, dass der Araber ihn mit dem Messer angreifen wollte. Er schoss also, um sich selber zu verteidigen. Die Sonne ist ein stets wiederkehrendes Motiv in diesem Werk von Camus, das meiner Meinung nach dafür steht, dass Meursault nicht gefühlskalt und unberechenbar ist. Die Sonne taucht beispielsweise in verschiedenen Szenen auf, in denen Meursault sich mit Marie vergnügt oder im Meer schwimmen geht – also dann, wenn er scheinbar glücklich ist und dies auch so empfindet. Es passt daher, dass mit Hilfe der Einwirkung der Sonne, die für Meursaults Normalität steht, erklärt werden kann, weshalb Meursault die Tat begangen hat, und dass er nicht der unberechenbare und kaltblütige Mörder ist.

Das Gericht sieht dies jedoch anders. Die Geschworenen verurteilen Meursault zum Tode, da sie dem Bild, das der Staatsanwalt von Meursault zeichnet, Glauben schenken. Dieser beschreibt Meursault als ungläubigen Bürger, der nicht um seine Mutter trauert, am Tag nach ihrem Tod eine Liebesaffäre beginnt, nicht eingreift, wenn sein Nachbar seine Freundin verprügelt, am Strand kaltblütig einen Mann erschiesst und in der Folge nicht Mal Reue für seine Tat empfindet. Am Ende ist es also nicht die Tat an sich, die den Ausschlag für die Verurteilung von Meursault gibt, sondern es sind seine Wesenszüge, die ihn zu einem Aussenseiter in der Gesellschaft machen. So meint der Staatsanwalt dann auch, dass jemand, der sich nicht an die Regeln und Konventionen der Gesellschaft hält, es nicht verdient, in eben dieser zu leben.

Ein Beispiel für dieses Nicht-Einhalten der gesellschaftlichen Konventionen, das Camus besonders stark herausarbeitet, ist der Glaube. Bereits in der ersten Anhörung ist der Richter empört darüber, dass Meursault beteuert, er sei ungläubig und für ihn gäbe es keinen Gott. Der Richter bezeichnete ihn in der Folge als Antichrist. Auch am Ende des Werks, als der Gefängnispfarrer mit Meursault sprechen will, zeigt sich die antireligiöse Haltung des Protagonisten. Er erklärt, dass er nicht gläubig sei und sicher nicht seine letzten Stunden damit verschwenden will, mit jemandem über etwas zu reden, an das er nicht glaubt.

Trotzdem den vielen Nichteinhaltungen von gesellschaftlichen Konventionen und Regeln erkennt Meursault kurz vor seiner Hinrichtung, dass er in seinem Leben trotz allem glücklich gewesen ist.

Bibliografische Angaben

Titel: Der Fremde
Autor: Albert Camus
Seiten: 160
Erschienen: 1942
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3499221896
ISBN-13: 978-3499221897
Bewertung: 4/5


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