Inhaltsangabe: Die Stadt der Sehenden von José Saramgo

Inhalt

In der namenlosen Hauptstadt, die vor vier Jahren von einer unerklärlichen Blindheit heimgesucht wurde, ereignen sich erneut seltsame Dinge. Es sind Wahlen, doch die Stimmbeteiligung der Hauptstadtbevölkerung ist erschreckend gering. Hinzu kommt, dass die meisten Wähler leere Stimmzettel abgegeben haben und damit die bisherigen Regierungsparteien ihre Legitimation verloren haben. Die Regierung ordnet eine Wiederholung der Wahl an und lässt diese strengstens Überwachen. Agenten sind under cover im Einsatz, die Wähler werden gefilmt und die Gespräche während dem Anstehen vor den Wahllokalen aufgezeichnet. Etwas Verdächtiges ist nicht zu erkennen, dennoch sind es 83% die leere Stimmzettel abgegeben haben. 
Die Regierung weiss nicht mehr weiter, klammert sich jedoch an die Hoffnung, dass die eingeschleusten Agenten etwas herausbekommen. Diese verhören rund 500 Leute, die ihnen beim Wählen aufgefallen waren. Die Agenten versuchen mit Hilfe von Lügendetektoren zu Geständnissen zu kommen, doch es hilft alles nichts. Die Bewohner berufen sich auf ihr Recht, dass sie leere Stimmzettel abgeben dürfen. 
Der Premierminister greift zu drastischeren Massnahmen und ruft den Belagerungszustand der Hauptstadt aus. Schnell wird aber klar, dass sich die Regierung mit dieser Massnahme ins eigene Fleisch schnitt, denn sie hat keinen Plan, wie die Nahrungslieferung, die Öl- und Benzinversorgung oder die pendelnden Arbeiter, die ausserhalb der Stadt arbeiten, gehandhabt werden sollen. 
Die Hauptstadtbevölkerung organisiert trotz Versammlungsverbot eine grosse Demonstration, in der sie sich offen dazu bekennt, weiss gewählt zu haben. Die Regierung entschliesst sich daraufhin, die Stadt mitsamt allen Beamten inklusive der Polizei zu verlassen und diese ihrem Schicksal zu überlassen. Man  erhofft sich, dass das Chaos ausbricht und die Bürger erkennen, dass sie auf die Demokratie angewiesen sind und um Hilfe bettelnd angekrochen kommen. 

Doch das geschieht nicht, denn die Bevölkerung in der Hauptstadt organisiert sich selber. Das Chaos bleibt aus. Die Regierung sieht sich in ihrer Autorität bedroht und inszeniert einen Bombenanschlag auf den Bahnhof der Hauptstadt. Doch überraschenderweise funktioniert sowohl die Feuerwehr als auch die Ambulanz und die Verletzten werden behandelt. Nur kurze Zeit später wird es wieder unruhig in der Stadt, denn diejenigen Bürger, die gewählt haben, wollen nicht länger von der Regierung ignoriert werden und wollen die Stadt verlassen. Eine lange Autokolonne macht sich auf den Weg aus der Stadt hinaus. Die Regierung will die Massenflucht jedoch um jeden Preis verhindern, denn sie erhofft sich, dass es daraufhin zu Auseinandersetzungen zwischen den Weisswählern und den Normalwählern kommt. Sie verbreitet daher über Radio und TV die Meldung, dass in der Hauptstadt bereits jetzt die Wohnungen der Normalwähler geplündert werden und die tugendhaften und altruistischen Bürger sofort zurückkehren müssen, wenn sie ihr Hab und Gut retten wollen. Als diese den Befehl befolgen, erkennen sie, dass die Regierung nicht die Wahrheit gesagt hat, denn die Weisswähler helfen den Rückkehrern beim Einräumen ihres Gepäcks.
Die Regierung ist frustriert, dass auch der zweite Plan nicht den gewünschten Erfolg brachte. Die neue Idee ist, eine Mauer um die Stadt zu bauen. Das geht jedoch dem Kultur- und dem Justizminister zu weit und die beiden legen ihr Amt nieder. Die beiden Mandate werden jedoch kommentarlos von den übrig gebliebenen Regierungsvertretern übernommen und man macht sich daran, einen neuen Plan in die Tat umzusetzen. Dieser sieht vor, die Ereignisse von vor vier Jahren, als die Blindheitsepidemie die Stadt heimsuchte, mit den Ereignissen des Weisswählens zu verknüpfen – die aktuellen Vorkommnisse quasi als weisse Blindheit zu verkaufen.
Genau zu diesem Zeitpunkt trifft beim Premierminister ein Brief ein, der vom ersten Blinden der Epidemie verfasst wurde. Dieser schreibt von einer Frau, die während der Epidemie nicht erblindet sei und dass er glaube, dass sie hinter dem Phänomen des Weisswählens stecke. Sie hätte sowieso eine kriminelle Ader, da sie vor vier Jahren einen Mann mit einer Schere ermordet habe. Der Premierminister will dem Brief keine grosse Aufmerksamkeit schenken, doch der Innenminister, der den Brief ebenfalls erhalten hat, will die Sache aufklären. Er schickt ein Dreimannteam under cover in die Hauptstadt, das herausfinden soll, was an den Gerüchten dran ist. 
Beim Verhör des Briefschreibers bringen die drei Polizisten die Namen und Adressen der sechs anderen Gruppenmitglieder in Erfahrung und statten diesen am darauffolgenden Tag zur selben Zeit einen Besuch ab. Die Frau des Augenarztes gesteht den Mord sofort, sagt jedoch, dass sie deswegen nicht verurteilt werden könne, da alle Verbrechen aus dieser Zeit nicht geahndet würden. Die Polizisten erkennen schnell, dass es unmöglich sein kann, dass die Frau des Augenarztes etwas mit der Verschwörung zu tun hat, doch der Innenminister will davon nichts hören. Er will, dass diese Gruppe zum Sündenbock gemacht wird und verlangt ein Foto, sowie die Namen und Adressen der sieben Hauptstadtbewohner. Der Kommissar händigt die Informationen aus, sagt jedoch offen, dass er mit diesem Vorgehen nicht einverstanden ist. Daraufhin wird er entlassen, muss aber als einziger der drei Beamten in der Stadt bleiben. Der Kommissar erkennt, was der nächste Schritt der Regierung sein wird, nämlich, dass das Foto und die Namen in der Zeitung veröffentlicht werden. Er warnt die Frau des Augenarztes. 
Das Foto erscheint am darauffolgenden Tag in der Zeitung, jedoch noch ohne Namen. Diese sollen erst am nächsten Tag abgedruckt werden. Der Kommissar will diese schreiende Ungerechtigkeit bekämpfen und schreibt einen lückenlosen Bericht zu seine Ermittlungen. Diesen lässt er einer Zeitung zu kommen, welche die Informationen, vor der Zensurbehörde versteckt, abdruckt. Die Hauptstadtbewohner lesen die Zeitung und erfahren so die Wahrheit – ein Schlag ins Gesicht der Regierung. Diese weiss sich nicht mehr anders zu helfen, als zuerst den Kommissar und daraufhin auch noch die Frau des Augenarztes zu ermorden. Der Innenminister wird aufgrund seiner Inkompetenz vom Premierminister gefeuert. 
Charakteranalyse
In diesem Werk gibt es keine offensichtliche Hauptperson, die im Zentrum der Geschichte steht. Eher lässt sich die Figurenkonstellation in zwei Lager unterteilen: Die Regierung und die Hauptstadtbevölkerung. Die Regierung, obwohl demokratisch gewählt, will um jeden Preis an der Macht bleiben und ist aus diesem Grund gewillt, jegliche Gesetze zu brechen und die Grundwerte der Demokratie mit Füssen zu treten. Genau das Gegenteil tun die Hauptstadtbewohner, die ihren Unmut in einer Art stillem Protest äussern, jedoch dabei stets das Gesetz achten. Durch ihr vorbildliches Verhalten zeigen sie, dass sie auch ohne die Hilfe der Regierung problemlos funktionieren können. 
Zwischen diesen beiden Gruppen steht der Kommissar, der die Ermittlungen führt. Er muss auf Druck des Innenministers den Schuldigen finden und verhaften, doch er selber erkennt, dass die Regierung einfach einen Sündenbock sucht, um diesen der Öffentlichkeit zu zeigen und ihre Macht zu demonstrieren. Er widersetzt sich seinem Befehl und bringt die Wahrheit an die Öffentlichkeit. Für seine ehrliche und aufrichtige Tat wird er von der Regierung ermordet. (fba)

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