Inhaltsangabe: Wir alle spielen Theater von Erving Goffman

Updated Nov 4, 2017

Inhalt

In seinem Werk „Wir alle spielen Theater“ geht der amerikanische Soziologe Erving Goffman der Struktur und den Eigenheiten der zwischenmenschlichen Interaktion auf den Grund. Im Folgenden sollen einige seiner Kernideen ausgeführt werden:

Goffman vergleicht die Interaktion, für die er die gleichzeitige, örtliche Anwesenheit sowie ein gemeinsames Aufmerksamkeitszentrum als Voraussetzungen definiert, mit dem Theater. Jeder Mensch spielt in der Interaktion mit seinem Gegenüber (oder auch mehreren) eine Rolle. Diese Rolle hat er zuvor auf der Hinterbühne (ein Ort, der den restlichen Interaktionsteilnehmern nicht zugänglich ist) eingebübt. Präsentiert wird sie dann auf der Vorderbühne. Nach Goffman hat jeder Mensch verschiedene Rollen, die er in verschiedenen Interaktionssituationen anwendet. Für die Darstellung seiner Rolle hat jeder Mensch zwei Ausdrücke zur Verfügung: den Ausdruck, den er sich selbst gibt (u.a. Sprache), und der Ausdruck, den er ausstrahlt (Kleidung, Mimik, Gestik, Verhalten etc.). Letzterer ist wesentlich schwieriger zu kontrollieren, was es den anderen Interaktionspartnern ermöglicht, allfällige Manipulationsversuche zu erkennen. Diese nennt Goffman die Asymmetrie der Kommunikation.

In einer Interaktion kommt es zu allererst zur Herausbildung der sogenannten Arbeitsübereinstimmung. Dabei werden die Rahmenbedingungen der Situation definiert und die Interaktionsteilnehmer geben ihr Einverständnis, die Rolle der Anderen zu akzeptieren. Dieser Vorgang ist nicht etwas, das tatsächlich als Teil der Interaktion abläuft, sondern das geschieht automatisch. Als Illustration dieses Vorgangs kann beispielsweise Folgendes angeführt werden: Eine Person betritt ein Klassenzimmer, in dem bereits eine grosse Anzahl von Menschen hinter den Tischen sitzt und wartet. Die Person, die eintritt, stellt sich vor die Anwesenden, begrüsst sie und lanciert den Unterricht. Die Personen hinter den Bänken werden die andere Person als Lehrer erkennen und akzeptieren entsprechend seine Rolle, in dem sie sich selbst so verhalten, wie es sich für Schüler gehört. Dasselbe wird der Lehrer tun, in dem er sich an die Regeln hält, die der Lehrerberuf mit sich bringt, und gleichzeitig auch die Rollen der Schüler akzeptiert. Dieser Vorgang funktioniert auch dann, wenn sich die beiden Interaktionsparteien noch nie begegnet sind – sofern das Treffen in einem Klassenzimmer stattfindet. Fände es zufällig draussen an einem See statt, würde die Rollenverteilung ganz anders ausfallen.

Goffman betont sehr stark die Eigendynamik der Interaktion. Es ist seiner Meinung nach nicht möglich, den Verlauf einer Interaktion zu planen, entsprechend wird es auch immer zu Pannen und Störungen kommen. Damit diese so wenig Einfluss wie möglich haben und es in der Interaktion nicht zu einer peinlichen Situation kommt, sind die Schutz- und Verteidigungsmanöver nötig. Verteidigungsmanöver werden vom Darsteller selbst angewendet, um seine eigene Rolle zu verteidigen. Die Schutzmanöver (auch Takt genannt) werden von den Zuschauern (übrige Interaktionspartner) benutzt, um die Rolle des Interaktionspartners nicht zu kompromittieren.

Eine weiteres wichtiges Konzept von Goffman, der sich für die Erarbeitung seiner Interaktionstheorie auf empirische Fallbeispiele stützt, ist das Ensemble. Diesem Konzept liegt die Beobachtung zugrunde, dass in einer Interaktion meist mehr als nur ein Darsteller involviert ist und dass diese zusammenarbeiten. Entsprechend definiert er ein Ensemble als eine Gruppeninszenierung von mehreren Darstellern, die gemeinsam versuchen, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Durch die Zusammenarbeit bildet sich eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den einzelnen Darstellern, auch wenn diese sich in einer anderen Situation aus dem Weg gehen würden. Damit die Gesamtleistung des Ensembles glaubwürdig erscheint und den Erwartungen des Publikums entspricht, hat Goffman die Rolle des Regisseurs eingeführt. Dieser hat zwei Aufgaben: Er muss Ensemble-Darsteller, die sich nicht im Sinne des Ensembles verhalten, zurechtweisen und bestrafen können und zudem kann er den Ensemble-Darstellern ihre Rolle zuweisen.

In einem weiteren Kapitel eruiert Goffman acht verschiedene Sonderrollen. Der Denunziant ist eine Person, die vorgibt, Teil eines Ensembles zu sein, um auf der Hinterbühne an destruktive Informationen zu kommen, um das Schauspiel des Ensembles zu stören. Der Claqueur wiederum ist jemand, der sich benimmt, als sei er ein gewöhnlicher Zuschauer, arbeitet aber in Wirklichkeit mit den Ensemble-Darstellern zusammen. Weitere Sonderrollen sind der Kontrolleur, der die Ensemble-Darsteller beobachtet und kontrolliert, der Vermittler, der die Geheimnisse von beiden Seiten in Erfahrung bringt und sich bemüht, einen Kompromiss zu finden, und die Unperson, die weder zu den Darstellern noch zum Publikum gehört und auch keine andere Sonderrolle übernimmt (bspw. der Dienstbote). Weiter beschreibt Goffman den Wartungsspezialisten, der für das Schauspiel materielle und geistige Voraussetzungen liefert (bspw. Architekt, Möbelverkäufer), den Vertrauten, dem die Darsteller ihre Geheimnisse anvertrauen und der Kollege.


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