Rezension: Schmutzige Kriege von Jeremy Scahill

Published Dez 19, 2013

„Schmutzige Kriege“ ist das beeindruckendste und aufrüttelndste Sachbuch, das ich bisher gelesen habe. Akribisch, ohne Aufwand zu scheuen und mit schonungsloser Offenheit prangert Journalist Jeremy Scahill die amerikanischen Machenschaften im Kampf gegen den Terror an.
Den Anfangspunkt markieren die Terroranschläge des 11. September. Von diesem historischen Tag ausgehend, beginnt Jeremy Scahill chronologisch die Ereignisse aufzuarbeiten. Er beschreibt, wie die Administration Bush die Kriege gegen Afghanistan und den Irak rechtfertigte, wie sie vor Ort mit der lokalen Bevölkerung umgingen und welche Gesetze und Rechtfertigungsstrategien sie den Medien und besorgten Politikern vorlegten. Schauplätze sind dabei neben dem Irak und Afghanistan auch regelmässig der Jemen, Somalia und Pakistan, drei Länder in denen die USA mit ihren Militär- und Geheimdiensten deutlich aktiver waren, als sie in der Öffentlichkeit zugaben.
Hochinteressant sind dann auch die Ausführungen rund um den neuen Präsidenten Barack Obama. Jeder, der bis heute geglaubt hat, dass Obama besser und weniger kriegsbesessen sei als Bush junior, dem werden mit diesem Werk die Augen geöffnet. Scahill deckt schonungslos auf, dass Obama zwar in der Öffentlichkeit davon sprach, dass er einen intelligenten Krieg führen und die Truppen aus den Kriegsgebieten abziehen will. Doch was sich im Wahlkampf gut anhörte, war nicht viel mehr als heisse Luft. Obama reduzierte zwar die offiziell stationierten Militärs in den Kriegsgebieten, stockte aber die Geheimdienste, vor allem der bis dato wenig bekannte JSOC, massiv auf. Unter seiner Regierung wurden auch die Drohneneinsätze um ein Vielfaches gesteigert. In den ersten zehn Monaten, in denen Obama im Amt war, verübten die Amerikaner mehr bewaffnete Drohneneinsätze als die Bush Administration in acht Jahren.

Obamas Todesliste
Doch damit nicht genug. Obama „perfektionierte“ das von Bushs Antiterrorstrategen Cheney und Rumsfeld angedachte Konzept des weltweiten Krieges. Während sich die Amerikaner unter Bush die Freiheit nahmen, Terrorverdächtige auf der ganzen Welt festzuhalten und in Geheimgefängnissen – die es längst nicht nur auf Guantanamo gab – zu verhören, ging Obama noch einen grossen Schritt weiter. Er führte eine Todesliste, auf der alle Personen festgehalten wurden, bei denen die Indizien der Geheimdienste allfällige Kontakte zu terroristischen Gruppierungen nachweisen konnten. Diese Personen wurden unter Obama nicht mehr einfach nur festgenommen, sondern sie wurden gleich ohne Prozess oder Anklage getötet – meistens von Drohnen, damit das Risiko für die Amerikaner möglichst gering war. Wie hoch die Kollateralschäden waren und wie viele Personen zu Unrecht ins Visier genommen wurden, lässt sich nur sehr schwer abschätzen. Aber es waren erschreckend viele.
Als roter Faden durch die beinahe 800 Seiten dicke Abhandlung dient die Geschichte des amerikanischen Bürgers Anwar al-Awlaki, der aufgrund seiner jemenitischen Herkunft und seiner Zugehörigkeit zum Islam nach dem 11. September immer mehr ins Fadenkreuz der amerikanischen Behörden gerät. Durch deren aggressives Verhalten radikalisiert sich auch die Ausrichtung al-Awlakis und es kommt soweit, dass die Amerikaner einen Landsmann ohne Prozess und ohne ausreichende Beweislage in Namen des Kampfs gegen den Terror mit einem Drohnenangriff umbringen.
Eine Pflichtlektüre
Das Buch von Scahill öffnet dem Leser die Augen und gewährt einen völlig neuen Blick auf das Weltgeschehen. Er zeigt schonungslos auf, dass das, was wir täglich in den Medien über den Krieg gegen den Terror lesen, nur die halbe Wahrheit ist. Die Rolle der Amerikaner im weltweiten Krieg gegen den Terror nimmt man nach der Lektüre dieses Werks ganz anders wahr und auch über die wenig bekannten Kriegsschauplätze wie Somalia oder Jemen weiss man deutlich mehr.
Obwohl Scahills Werk teilweise harte Kost ist und man sich durch viele Namen, Institutionen und politische und juristische Details kämpfen muss, ist das Buch absolut empfehlenswert, denn so umfassend und schonungslos wurde dieses Kapitel der amerikanischen Geschichte bisher noch nicht thematisiert. (fba)
Bibliografische Angaben
Titel: Schmutzige Kriege
Autor: Jeremy Scahill
Seiten: 720
Erschienen: 2013
Verlag: Antje Kunstmann
ISBN-10: 3888978688
ISBN-13: 978-3888978685
Bewertung: 

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