Rezension: Léon und Louise von Alex Capus

„Léon und Louise“, das neuste Werk des Schweizer Autoren Alex Capus erzählt eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier Menschen, die alles andere als voraussehrbar verläuft und in der die beiden Weltkriege eine zentrale Rolle spielen. 


Léon Le Gall ist gerade mal 17 Jahre alt, als er in einem kleinen Dorf in Frankreich, wo er an einem kaum befahrenen Bahnhof als Morser arbeitet, auf Louise Janvier trifft. Sie ist die Assistentin des Bürgermeisters und hat die schwierige Aufgabe übernommen, die Familien, der im ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, über den Verlust ihrer Söhne, Ehemänner oder Väter zu informieren. Trotz anfänglicher Sticheleien, vor allem von Louise, verstehen sich die beiden gut. Sie verbringen viel Zeit miteinander, sprechen über Gott und die Welt. Doch dann, als sich der erste Weltkrieg bereits dem Ende nähert, werden die beiden bei einem Flugzeugangriff verletzt. Als die beiden wieder erwachen, beide in einem Lazarett, haben sie einander aus den Augen verloren. Es dauert Jahre, bis sie sich wieder treffen. 
Alles andere als Hollywood-like
Nicht schon wieder eine dieser elenden, schon gefühlte 1000 Mal gelesenen oder in einer kitschigen Hollywood-Verfilmung gesehenen Liebesgeschichten von zwei Menschen, die sich treffen, gleich wissen, dass sie füreinander bestimmt sind, sich aus den Augen verlieren und dann über eine völlig unrealistische Verkettung glücklicher Zufälle zueinander finden. Nicht schon wieder eine Erzählung, vollgestopft mit romantisch-kitischigen Liebesschwüren und einem Friede-Freude-Eierkuchen-Happy-End. Das habe ich mir gedacht, als ich die Beschreibung von Alex Capus neuem Roman gelesen habe. Dennoch habe ich mich entschieden, das Buch zu lesen – es hat sich gelohnt.
Ein Happy End gibt es zwar, aber das ist auch etwa das einzig erwartbare an dieser Erzählung. Mit seiner einfachen, aber dennoch stets stilsicheren und vor allem sehr bildhaften und anschaulichen Sprache, zieht Capus die Leser sofort in den Bann. Er beschreibt kaum spektakuläre Ereignisse im Leben seiner Protagonisten, es sind alltägliche Routinen und Geschehnisse, die im Zentrum stehen. Léon bei seiner Arbeit im Labor, Louise beim Warten auf ihre Rückkehr nach Paris, Léon beim Lesen auf seinem Schiff oder bei seiner täglichen Unterhaltung mit einem Obdachlosen in Paris. Trotz oder vielleicht gerade wegen diesen alltäglichen Dingen fasziniert einem die Geschichte.

Zwei gegensätzliche Protagonisten
Mit Léon und Louise hat Alex Capus zwei mehr als gelungene Charaktere zu Papier gebracht, die beide sehr eigen sind in ihrer Art und irgendwie nicht richtig zusammen passen wollen. Da ist auf der einen Seite der ruhige Léon, stets darauf bedacht, das Richtige zu tun und sein Wort zu halten. Ein Einzelgänger, der viel Zeit auf Flohmärkten verbringt und angespülte Dinge aus dem Meer sammelt. Auf der anderen Seite Louise. Ein rebellischer, lebens- und abenteuerlustiger Wirbelwind, der gerne flucht und Zigarren raucht. Sie besitzt einen Sportwagen, fährt riskant und viel zu schnell durch Paris und passt eigentlich so gar nicht zum wenig attraktiven und eher langweiligen Léon. Dennoch hegt sie starke Gefühle für ihn, und bringt diese auch in Briefen zum Ausdruck, die sie Léon während dem zweiten Weltkrieg, als sie in Afrika festsitzt, nach Paris.
Als Zeichen dafür, dass sie ihn stets geliebt hat, ist eine Szene, die Capus ganz zu Beginn seines Buchs beschreibt, sinnbildlich. Bei der Beerdigung von Léon in der Notre Dame in Paris, platzt Louise – ganz wie es ihrem Naturell entspricht – in die Feier, geht zum Sarg, küsst Léon, legt eine Fahrradklingel in den Sarg, lächelt und verschwindet wieder. Die Klingel hatte ihr Léon, kurz nach dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, ans Fahrrad montiert.

Eine Dreiecksbeziehung, in der alle zufrieden sind
Nicht nur die beiden Hauptcharaktere sind sehr gegensätzlich und speziell, die Liebesgeschichte zwischen den beiden an sich ist ebenfalls sehr ungewöhnlich. Sie treffen sich als Teenager, merken, dass sie zusammen gehören, verlieren sich jedoch nach dem Flugzeugangriff aus den Augen. Léon hat in der Zwischenzeit eine andere Frau, Yvonne, geheiratet und mit ihr vier Kinder gezeugt. Yvonne weiss von Louise, unterstützt ihren Mann aber gar bei der Suche nach Louise. Diese blieb allein, hat jedoch gelegentlich eine Affäre.
Jahre später treffen sie sich in Paris wieder, doch wer auf das grosse Glück der beiden gewartet hat, wird enttäuscht. Sie sehen sich ein Mal und versprechen, sich in Zukunft wieder aus dem Weg zu gehen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg beginnen sie sich regelmässig zu sehen. Die Art und Weise ist jedoch ziemlich skurril. Die beiden treffen sich täglich auf Léons Boot, jeden Abend um sieben trennen sie sich, Léon geht nach Hause zu Yvonne und seinen Kindern und ist der fürsorgliche Familienvater und Ehemann. Yvonne weiss genau, was sich zwischen den beiden auf dem Boot abspielt, stört sich jedoch nicht daran. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben. Ihre Ehe mit Léon war schon lange zu einer Zweckgemeinschaft verkommen und an die Dreiecksbeziehung war sie von Anfang an gewöhnt. Denn auch wenn Louise nicht physisch präsent war, so war sie doch dauernd in Léons Kopf. Nach Yvonnes Tod und nachdem alle Kinder ausgezogen sind, finden Léon und Louise endgültig zusammen. Sie fahren mit dem Boot hinaus auf den Ozean.

Eine durch und durch ungewöhnliche Liebesgeschichte vor dem Hintergrund zweier Weltkriege. Ein absolut empfehlenswertes Buch von Alex Capus. (fba)

Bibliografische Angaben:

Titel: Léon und Louise
Autor: Alex Capus
Seiten: 320
Erschienen: 2012
Verlag: Hanser
ISBN-10: 3446236309
ISBN-13:  978-3446236301
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